Demenz: Pflegende Angehörige brauchen fachärztliche Beratung
Die Beratung pflegender Angehöriger von Demenzpatienten ist eine fachärztliche Aufgabe. Deshalb fordert der Spitzenverband ZNS (SPiZ) eine angemessene Berücksichtigung von Gesprächs- und Beratungsleistungen für diese pflegeintensive Erkrankung.
„Typischerweise sind pflegende Angehörige von Demenzpatienten sehr belastet und haben einen besonders hohen Informationsbedarf. Plötzliche Verschlechterungen wie akute Unruhe, Weglauftendenz zum Beispiel in der Nacht oder aggressive Verhaltensweisen erfordern wiederholte zum Teil kurzfristige Beratungen, hier kommen schnell insgesamt einige Stunden zusammen“, erläutert der Vorsitzende des SPiZ, Dr. Frank Bergmann.
Neben den medizinischen Aspekten gehe es auch darum, die Angehörigen im Umgang mit den Erkrankten zu schulen, um Juristisches wie Autofahren, Vorsorgevollmacht, gesetzliche Betreuung sowie um entlastende soziale Hilfen. Außerdem sollte der Arzt das Befinden der Pflegenden mit im Auge haben. „Es handelt sich ja zumeist um betagte Angehörige, die plötzlich rund um die Uhr eingespannt werden“, so Bergmann.
Rund zwei Drittel der Demenzpatienten werden zuhause von ihren Angehörigen gepflegt (1, 2). Diese trauern um den Verlust eines Gegenübers auf Augenhöhe und müssen gleichzeitig anstrengende Pflege leisten. So kann es nicht verwundern, dass die Helfer oft selbst Probleme entwickeln. 60 Prozent der Pflegenden leiden unter Rückenschmerzen, 20 Prozent unter gedrückter Stimmung oder Depression und 25 Prozent unter Schlafstörungen (1). Die hohe Belastung kann bis zur seelischen und körperlichen Erschöpfung führen. Nicht selten kommt es zu psychosomatischen Erkrankungen oder Bewältigungsversuchen mit Psychopharmaka oder Alkohol (3).
Der Arzt ist ein wichtiger Ansprechpartner für die pflegenden Angehörigen. „Dabei reicht ein kurzes Gespräch meist nicht aus, damit die Angehörigen sich öffnen, zumal sie oft ein schlechtes Gewissen haben, wenn sie vorübergehend ihr eigenes Befinden in den Vordergrund stellen. Wir müssen ihnen die Zeit für ein längeres Gespräch einräumen. Nur so kann sprechende Medizin funktionieren. Auch manche Operation dauert ja länger als eine Stunde“, so Bergmann.
Das Problem psychisch, physisch und finanziell überforderter pflegender Angehöriger ist kein Randphänomen. „Ein Rechenexempel: Aktuell gehen wir von 1,4 Millionen Demenzpatienten in Deutschland aus (2). Wenn zwei Drittel von ihren Angehörigen gepflegt werden, dann sprechen wir von fast einer Million pflegenden Angehörigen. Viele von ihnen sind überlastet“, so Dr. Christa Roth-Sackenheim, Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater BVDP. Besonders schwierig werde es für die Angehörigen, wenn die Patienten im Verlauf der Demenz Unruhe oder Aggressionen entwickelten. Dann steige neben dem Behandlungsbedarf der Patienten auch der Beratungsbedarf und der Stress der Angehörigen deutlich.
Diese Belastung können Pflegende auf Dauer nur bewältigen, wenn sie externe Hilfen in Anspruch nehmen. Allerdings kennen sie die zur Verfügung stehenden Möglichkeiten meist nicht. Hier sind sie auf die qualifizierte Beratung durch den Facharzt angewiesen. Dann können Hilfsangebote wie die Beantragung einer Pflegestufe, die Einrichtung eines häuslichen Pflegedienstes, vielleicht die tageweise Unterbringung der Patienten in einer Tagespflege oder die Einbindung ehrenamtlicher Kräfte die Angehörigen sehr entlasten.
Auch kurzfristige Anpassungen der Medikation können den Umgang mit Demenzpatienten erleichtern. Ein Beispiel ist eine Schlafmedikation, um den Tag-Nacht-Rhythmus zu normalisieren und auch der Pflegeperson einen ausreichenden Nachtschlaf zu ermöglichen. Bei solchen Problemen sind häufig zeitnahe Konsultationen notwendig, auch um eine stationäre Behandlung zu vermeiden.
„Um diese intensive Beratung realisieren zu können, brauchen Neurologen, Nervenärzte und Psychiater einen ökonomischen Ausgleich“, stellt Bergmann fest.
Zwar sehe der Einheitliche Bewertungsmaßstab Ziffern für die Angehörigenbetreuung vor, in der Abrechnungswirklichkeit erhalte der Arzt für die Patientenbetreuung und die Angehörigenbetreuung zusammen aber eine Pauschale von rund 44 Euro für drei Monate. „Das genügt nicht einmal für die Patientenversorgung. Weil die Angehörigenbetreuung mit in dieser Pauschale enthalten ist, wird sie in der Regel de facto gar nicht vergütet“, kritisiert Bergmann. Seine Forderung: „Qualifizierte Beratungsleistungen sollten angemessen als Einzelleistung vergütet werden!“
Quellen
- Studie „Kundenkompass Stress“ der Techniker Krankenkasse: (Seite 21)
- Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, 23.1.2013
- Füsgen I., Vogel H.R. (Hrsg.): Die Versorgung der Menschen mit Demenz: Anforderungen an die Kranken- und Pflegeversicherung. 23. Workshop des „Zukunftsforum Demenz“ Berlin, 2006 (Seite 18)
Demenz: Pflegende Angehörige auf Beratung durch Facharzt angewiesen