Kommentar zum DAK-Gesundheitsreport 2011
Die im DAK-Gesundheitsreport 2011 als „alarmierend“ bezeichneten Zuwächse bei psychischen Erkrankungen sind nicht überraschend. Sie bestätigen das Anhalten eines Trends, der schon in früheren Gesundheitsberichten aufgezeigt wurde.
Die Zuwächse bedürfen einer differenzierenden Betrachtung: Sieht man altersassoziierten psychischen Erkrankungen wie Demenzen ab, zeigen sich Zuwächse in erster Linie bei eher leichteren psychischen Erkrankungen wie somatoformen Störungen und depressiven Episo-den. Bei schweren psychischen Erkrankungen wie Psychosen oder bipolaren Störungen gibt es keine Zuwächse.
Kapazitätsgrenzen seit Langem erreicht
Die größten Zuwächse ergeben sich in der Richtlinienpsychotherapie. Die starke Nachfrage nach Psychotherapie veranlasste die Bundespsychotherapeutenkammer zu der folgenden Presseerklärung (08.02.2011): „In der Versorgung von psychisch kranken Menschen stoßen wir seit Langem an Kapazitätsgrenzen, die sich nur durch ein größeres Angebot von Behandlungsplätzen lösen lassen“. Die Forderung nach mehr Psychotherapeutensitzen halte ich für sehr problematisch.
Verschiedene Arbeiten belegen, dass die Zunahme von Psychotherapiefällen wesentlich auf zwei Faktoren zurückzuführen ist. Zum Einen darauf, dass häufiger Patienten behandelt werden, deren Störungen eher noch im Normalbereich liegen und die nicht „krankheitswertig im engeren Sinn“ sind, zum Anderen auf ein verändertes Inanspruchnahmeverhalten der Betroffenen. Die Schwelle, bei Belastungen einen Psychotherapeuten aufzusuchen, ist nied-riger geworden. Die Angebote zur Psychotherapie sind vielfältig, sie kosten nichts, es bedarf keiner ärztlichen Überweisung und der Weg zu einem Psychotherapeuten ist nicht weit.
Schaffung weiterer Psychotherapeutensitzen = Verschärfung Strukturprobleme
Mit der Schaffung von weiteren Psychotherapeutensitzen würde das grundlegende Strukturproblem der psychiatrischen Versorgung, die Fehlallokation von Ressouren, nur noch weiter verschärft. Den niedergelassenen Psychiatern, die das Gros der schwerer psychisch Kranken behandeln, steht für die Behandlung eines Patienten pro Quartal nur etwa eine halbe Stunde finanzierte Behandlungszeit zur Verfügung, viel zu wenig, um eine umfassende und leitliniengerechte Behandlung leisten zu können.
Patienten, die einen Psychotherapeuten aufsuchen, erhalten eine Therapie, deren Dauer sich zwischen rund 40 Stunden und weit über 100 (Maximum 300) Stunden bewegt.
Für leichter Erkrankte viel Ressourcen/Behandlungszeit, für schwerer Erkrankte wenig Res-sourcen/Behandlungszeit – diese Schieflage ist fachlich nicht vertretbar und sie stellt eine Verletzung der grundgesetzlich garantierten Chancengleichheit dar, die auch für die psychiatrische Versorgung gelten muss.