Start in den Beruf für Patienten mit ZNS-Erkrankungen besonders schwierig
Patienten mit neurologischen und psychiatrischen Krankheiten haben es besonders schwer, wieder in den Beruf einzusteigen.
Ein Grund dafür ist, dass manche Krankheitsfolgen unauffällig sind, sich erst im Laufe der Wiedereingliederung zeigen und oft übersehen oder fehlgedeutet werden. Darauf hat der Spitzenverband ZNS (SPiZ) auf der 50. wissenschaftlichen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) am 25. September in Erlangen hingewiesen.
„Gerade geringere und unterschwellige Funktionsdefizite können die Belastbarkeit im Alltag und im Beruf deutlich vermindern und zum Scheitern einer beruflichen Eingliederung führen“, erläuterte Dr. Paul Reuther auf der Jahrestagung. Reuther ist Vorstandsmitglied des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und Leiter eines ambulanten neurologischen Rehabilitationszentrums. „Das betrifft allein im neurologischen Bereich jedes Jahr zwischen 70.000 und 100.000 Menschen in Deutschland“, machte der Reha-Experte die Dimension deutlich.
Das Problem sind laut Reuther zunächst kaum messbare sogenannte neuropsychologische Defizite, die sich aber unter beruflicher oder sonstiger Belastung wieder zeigen. Der Betroffene erledige Tätigkeiten zunächst gut, werde dann beispielsweise langsamer als gewohnt, habe Schwierigkeiten, sich länger zu konzentrieren und ermüde schneller. Diese Defizite können unter anderem nach Schlaganfall, Schädelhirntrauma, Multipler Sklerose oder aber nach einer diffusen Minderversorgung des Gehirns nach längerer künstlicher Beatmung oder Herzoperationen auftreten. Insbesondere bei den leicht- oder mittelgradigen dieser Fälle kommt es häufig zu Schwierigkeiten bei der Wiedereingliederung in den Beruf. Grund dafür ist, dass der Betroffene selbst, seine Familie und seine Arbeitswelt die verminderte Belastbarkeit häufig verkennen. „Sie sehen eine vordergründig sehr erfolgreiche Gesundung der Gehirnerkrankung, erinnern sich an die gute Leistungsfähigkeit vor der Erkrankung und sind verwundert, warum sich unter der zunehmenden Arbeitsbelastung nun doch wieder Defizite zeigen“, erläuterte Reuther.
Ähnliche Probleme können auch nach psychiatrischen Erkrankungen wie einer Depression die Rückkehr in den Beruf erschweren. „Zusätzlich ergeben sich bei psychiatrischen Patienten möglicherweise Probleme von Seiten der sozialen Situation, von eventuell bestehenden Abhängigkeitserkrankungen oder Konflikten am Arbeitsplatz“, sagte Dr. Oliver Biniasch, Vorstandsmitglied des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP), auf der Tagung. Besonders problematisch werde die Situation, wenn der Betreffende schon vor der Erkrankung im Beruf überfordert war.
Die geschilderten neuropsychologischen Symptome der neurologischen und psychiatrischen Patienten sind behandelbar. „Wichtig ist, dass gerade Patienten mit leichteren oder mittleren Beeinträchtigungen ihre Arbeitsperspektive möglichst noch in der medizinischen Reha wieder ins Auge fassen und früh in die berufliche Wiedereingliederung einsteigen. Dabei müssen sie individuell und fachkundig betreut werden“, so Reuther. Patient, Arbeitgeber und Arzt sollten gemeinsam am Arbeitsplatz herausfinden, wie belastbar der Patient zum jeweiligen Zeitpunkt ist und welche Hilfen er noch benötigt.
„Der derzeitige Rehabilitationablauf greift bei neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen im Hinblick auf Arbeit oft zu kurz und zu spät. Er hört auf, wenn der Betroffene seine Arbeit wieder aufnimmt“ kritisiert auch der SPiZ-Vorsitzende Dr. Frank Bergmann.
Der SPiZ fordert deshalb:
- Der Gemeinsame Bundesausschuss sollte in der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die stufenweise Wiedereingliederung in den Beruf für neurologische und psychiatrische Patienten verbessern. Die auch „Hamburger Modell“ genannte stufenweise Wiedereingliederung muss im GKV-Bereich um eine therapeutische Begleitleistung ergänzt werden. Solche Begleitleistungen können Beratung, Koordination, Supervision oder Coaching umfassen. Diese Betreuung sollte flexibel erfolgen können, unter anderem am Arbeitsplatz selbst, weil dort die Probleme auftreten. „Eine neurokundige Begleitung der Belastungserprobung am eigenen Arbeitsplatz ist bisher im nachsorgenden Leistungsangebot der GKV nicht und bei der Gesetzlichen Rentenversicherung nur in geringem Umfang, zu kurz und oft sehr spät erst verfügbar“, so Reuther.
- Kostenträger und Medizinischer Dienst der Krankenkassen sollten während der stufenweisen Wiedereingliederung weniger Zeit- und Erfolgsdruck auf den neurologischen oder psychiatrischen Patienten ausüben. Erfolgreiche Anpassungsarbeit benötigt bei neuropsychiatrischen Gesundheitsstörungen Zeit. Nur der beteiligte Neurologe, Psychiater oder Neuropsychologe sollten die stufenweise Steigerung der Arbeitszeit oder der Arbeitsinhalte vorgeben. Sie kennen den Patienten und seine Defizite am besten. Dabei sollten sie sich gegebenenfalls eng mit Arbeitgeber, Arbeitsmediziner oder Job-Coach abstimmen können. Diese Versorgungsleistungen müssen klar definiert werden und über die Gebührenordnungen der jeweiligen Beteiligten sicher finanziert sein.
Der Spitzenverband ZNS (SPiZ), die Deutsche Gesellschaft für Sozialmedizin und Prävention (DGSMP) und die Deutsche Gesellschaft für Arbeit- und Umweltmedizin (DGAUM) haben auf dem 50. Sozialmedizinkongress in Erlangen verabredet, ihre Zusammenarbeit zu intensivieren.
Start in den Beruf für Patienten mit ZNS-Erkrankungen besonders schwierig (29. September 2014)