Versorgungsstrukturen vor Ort deutlich verändern
Neuer Spitzenverband ZNS will die Versorgung von Patienten mit seelischen und neurologischen Erkrankungen verbessern
1,4 Millionen Demenzkranke heute, im Jahr 2030 voraussichtlich mindestens 2,2 Millionen Demenzpatienten (1) – rund vier Millionen Patienten mit einer behandlungsbedürftigen Depression (2) – immer mehr vorzeitige Berentungen aufgrund psychischer Erkrankungen, in NRW um plus 70 Prozent in zehn Jahren (3): Dies sind nur einige Zahlen, die verdeutlichen, welche Herausforderungen durch psychiatrische und neurologische Erkrankungen auf das Gesundheitswesen zukommen. Antworten auf diese Herausforderungen finden und durchsetzen soll der neugegründete Spitzenverband ZNS. „Wir müssen die Versorgungsstrukturen vor Ort deutlich verändern, um unseren Patienten schnell und effektiv zu helfen“, betont der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN) und Sprecher des ZNS-Spitzenverbandes, Dr. Frank Bergmann.
Der Verband möchte kürzere Wartezeiten für Patienten erreichen, eine besser strukturierte und finanzierte Akutversorgung und einen neuen Modus bei der Zusammenarbeit aller Gesundheitsdienstleister vor Ort. „Gemeinsam haben wir in Zusammenarbeit mit der ärztlichen Selbstverwaltung und der Politik mehr Gewicht und Durchschlagkraft, um bestehende Strukturen zu verändern“, so Bergmann.
Der Spitzenverband ZNS setzt sich zusammen aus:
- dem Berufsverband Deutscher Nervenärzte eV (BVDN)
- dem Berufsverband Deutscher Neurologen (BDN)
- dem Berufsverband Deutscher Psychiater (BVDP)
- dem Berufsverband für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie in Deutschland eV (BKJPP).
Versorgungsbedarf
„Wir können neurologische Erkrankungen wie Multiple Sklerose, Parkinson und viele andere immer besser behandeln. Außerdem leben immer mehr alte Menschen in Deutschland, die einen Schlaganfall, eine Demenz oder eine andere neurologische Krankheit erleiden. Beides zusammengenommen führt zu einem Ansturm auf die Praxen und Kliniken, den wir immer weniger bewältigen können“, sagte der Vorsitzende des BDN, Dr. Uwe Meier. Er warnte: „Die Versorgungsstrukturen und die Vergütungsanreize in der ambulanten Medizin sind auf diese Entwicklung in keiner Weise eingestellt!“
Jüngste Studien (4) zeigen, dass ZNS-Erkrankungen auf dem Vormarsch sind und die Belastungen durch sie massiv unterschätzt wurden. Danach sind 38 Prozent aller Einwohner der EU (plus Schweiz, Norwegen, Island) an einer klinisch bedeutsamen psychischen Störung erkrankt. „Die belastendsten unter den psychischen und neurologischen Erkrankungen waren unipolare Depressionen gefolgt von Alkoholkrankheiten, Demenzen und Schlaganfall“, erläuterte die Vorsitzende des BVDP, Dr. Christa Roth-Sackenheim.
Forderungen und Arbeitsprogramm des Spitzenverbandes ZNS
Kurzfristig fordert der Spitzenverband, Gesprächsleistungen schnellstmöglich außerhalb des Regelleistungsvolumens und mit festen Preisen zu vergüten. „Es ist bizarr, wenn psychiatrische Behandlung in einer Quartalspauschale abgebildet wird, weil Ärzte dann sehr viele Patienten sehen müssen, um ihre Praxen wirtschaftlich zu führen“, so Bergmann. Es sei dann sehr schwierig, sich betreuungsintensiven Patienten so ausführlich zu widmen, wie es notwendig wäre.
Mittelfristig möchte der neue Spitzenverband ZNS eine bessere Vernetzung und Koordination aller Akteure vor Ort erreichen. „Wir brauchen eine Struktur, in der die Erkrankung und Situation des Patienten vorgibt, wie die Behandlung aussieht, also regional abgestimmte Behandlungspfade“, erläutert Bergmann. Stationäre, teilstationäre und rehabilitative sowie ambulante Therapieangebote sollten unabhängig vom Ort der Leistungserbringung in einer Behandlungskette abgebildet werden. Eine elektronische Fall-Akte oder der Einsatz telemedizinischer Optionen könnte dabei Kommunikationswege verkürzen und den Informationszugang erleichtern.
„Eine solche enge Zusammenarbeit ist neben einer angemessenen Vergütung unserer Gesprächsleistungen auch für Kinder- und Jugendpsychiater enorm wichtig. Psychisch kranke Kinder und Jugendliche sind eine Zukunftshypothek unserer Gesellschaft. Sie und ihre Familien brauchen verbesserte Strukturen der Zusammenarbeit, auch und gerade beim Übergang ins Erwachsenenalter“, erläutert der Vorsitzende des BKJPP, Dr. Maik Herberhold.
„Diese notwendigen Strukturen sind aber mit dem augenblicklichen Vergütungsmodell nicht machbar“, kritisiert Bergmann. Vielmehr stünden die herkömmlichen Finanzierungsmodelle, die strikt nach Klinik – Praxis – Reha und gegebenenfalls Psychotherapie und hausärztlicher Versorgung trennen, einer patientenorientierten Vernetzung im Weg. „Wir wollen uns für eine Reform des Finanzierungsmodells einsetzen, die künftig flächendeckend regionale Behandlungspfade möglich und attraktiv macht“, so Bergmann.
Quellen:
(1) http://www.bmg.bund.de/pflege/demenz/zukunftswerkstatt-demenz.html
(2) http://www.deutsche-depressionshilfe.de/stiftung/volkskrankheit-depression.php?r=p#Bedeutung der Depression
(3) http://www.mgepa.nrw.de/ministerium/presse/pressemitteilungsarchiv/pm2013/pm20130828a/index.php
(4) European Psychopharmacology, 2011; 21: 655-679